von Lena Buß

Wohin führt dich dein Wort?

„Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse.“ (Klemperer 2007 [Erstausgabe 1947]: 26)1

In den letzten Beiträgen wurde in Verbindung mit der Frage „Wohin führt uns unser Wort?“ die Magie von Pluralität hervorgehoben. Durch Sprechen entsteht Wahrnehmung und Handeln. Pluralität beschreibt in einer Demokratie vor allem den Austausch und das Zu-Wort-Kommen von verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Realitäten, Wahrnehmungen, Zielen und Wünsche. Dieses Zu-Wort-Kommen wird durch Pluralität gefördert, sie ist aber nicht die Bedingung dafür. Denn sobald sie festgeschrieben wird als Notwendigkeit, liegt darin die Gefahr, dass der eigentlich bedeutungsleere Begriff mit Bedeutung gefüllt wird. Der Philologe Victor Klemperer führt das obige Zitat fort:

„Und wenn nun die gebildete Sprache aus giftigen Elementen gebildet oder zur Trägerin von Giftstoffen gemacht wurde? Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ (ebd.)

Im Anfangszitat beschreibt Klemperer die Macht der (eigenen) Sprache. Unterschätzen oder sprechen wir der Sprache diese Eigenschaft ab, so entfernen wir uns von unserer Handlungsmacht. Je unbewusster und unverantwortlicher wir also mit unserer Sprache umgehen, desto weniger erkennen wir unsere eigene Mündigkeit. Die „gebildete Sprache“ könnte man bei Klemperer als Alltagssprache bezeichnen:

"Man pflegte das Schiller-Distichon von „der gebildeten Sprache, die für dich dichtet und denkt“ rein ästhetisch und sozusagen harmlos aufzufassen.“ (ebd.)

Die Alltagssprache umgibt uns wie die Luft zum Atmen. Sie vereint die Elemente Interaktion, Wissen und die Sprache selbst und konstruiert damit die Wirklichkeit für das Individuum (vgl. Buß 2020: 11). Erkennen wir diesen „banalen“ Fakt an, so liegt die Gefahr manipuliert, beeinflusst oder der eigenen Mündigkeit beraubt zu werden nicht im Außen, sondern im Inneren:

„[Die] die stärkste Wirkung wurde nicht durch Einzelreden ausgeübt, auch nicht durch Artikel oder Flugblätter, durch Plakate oder Fahnen, sie wurden durch nichts erzielt, was man mit bewußtem Denken oder bewußtem Fühlen in sich aufnehmen mußte. Sondern, der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden.“ (Klemperer 2007: 25-26)

Das unbewusste Übernehmen von Einzelworten, Redewendungen und Satzformen war (und ist) somit eines der stärksten Mittel. Der Frage „Wohin führt uns unser Wort?“ geht somit eine entscheidendere Frage voraus, nämlich: „Wohin führt dich dein Wort?“

 

 

 

 

 

 

Literatur:

Buß, Lena: Alltagssprache als kulturelle Praxis Eine Untersuchung zur Konstruktion von Wirklichkeit durch Sprache. Freiburg 2020.

Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Stuttgart 2007. (Erstausgabe 1947)

1 Das erschienene Werk LTI (Lingua Tertii Imperii = Sprache des Dritten Reichs – Notizbuch eines Philologen beschäftigt sich mit der Sprache des Nationalsozialismus. Victor Klemperer war Professor tun der TH Dresden bevor er 1935 wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen wurde. Während der Zeit des Nationalsozialismus entstanden die in diesem Buch enthaltene Tagebuchaufzeichnungen. 1945 konnte er wieder an die Universität zurückkehren.


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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