von Lena Buß

Was bringen wir zur Sprache?

Die Magie von Sprache entfaltet sich in ihrer Anwendung: im Sprechen, Denken, Hören und Lesen. Wie wir die Welt sehen, ist abhängig von dem, wie wir sie verstehen. Was bringen wir also zur Sprache?

Aktuell wurde eine Umfrage des ifo-Instituts (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) über den Fachkräftemangel veröffentlicht. In der Pressemitteilung vom 02.08.2022 mit der Überschrift „Fachkräftemangel steigt auf Allzeithoch“ heißt es:

„Der Fachkräftemangel erreicht in Deutschland einen neuen Höchststand. Im Juli waren 49,7 Prozent der Unternehmen beeinträchtigt. […]. Der bisherige Rekord vom April (43,6 Prozent) wurde damit deutlich übertroffen.“

Viele Print- und Onlinemedien berichten am selbigen Tag über die neuen Zahlen. Mit fettgedruckter Überschrift beginnt Zeit Online ihren Artikel: Jedem zweiten Unternehmen fehlen Fachkräfte. Die Überschrift der Berliner Zeitung klingt etwas anders: „Die Lage ist kritisch“: Will denn in Deutschland keiner mehr arbeiten? Wiederum anders wählt die Tagesschau ihre Überschrift: Personalmangel in Firmen. Mehr Fachkräfte durch 4-Tage-Woche? 

Rein von den Überschriften wird deutlich, dass die erste und zweite einen Zustand beschreiben: Es fehlen Fachkräfte. Die zweite Überschrift benutzt ein bewertendes Zitat und stellt daran anschließend die Frage, die sich auf die Ursache beziehen soll. Vor allem in Bezug auf die dritte Überschrift zeigen sich hier verschiedene Ansätze:

Während die Zweite eine gegenwarts-/vergangenheitsorientierte Lesart vorgibt, pflegt die Dritte eine zukunftsorientierte. Letztere stellt bereits in der Überschrift eine lösungsorientierte Frage, die in die Zukunft spricht. Wohingegen die andere eher einer Begründung gleichkommt: In Deutschland wolle keiner mehr arbeiten und deshalb haben wir einen Fachkräftemangel.

Inhaltlich sind alle Artikel informativ. Im Ersten werden Zahlen der verschiedenen Branchen genannt und die Lage vor der Coronakriese betrachtet. Er stellt die Datenlage da und lässt sie durch den Experten bewerten. Der zweite Artikel bringt die Datenlage mit Zuwanderung, Mindestlohn und Inflation in Verbindung, er kommt einer Problembeschreibung gleich. Dabei lässt er lösungsorientierte Ansätze aus und beantwortet die Frage in der Überschrift nur indirekt:

„Für viele Leute – etwa im Niedriglohnsegment – ist es heute attraktiver, auf die Annahme einer Arbeitsstelle zu verzichten.“

Im dritten Artikel wird auf solche Beschreibungen verzichtet. Die Problematik, also der Personal-/Fachkräftemangel wird thematisiert, aber nicht mit Zahlen untermauert. Dafür folgt ein Beispiel, was auf die Thematik bezogen wird. Ein Sanitärbetrieb wird vorgestellt, der die 4-Tage-Woche eingeführt hat. Dazu kommen verschiedene Perspektive auf das Konzept, Befürworter und Kritiker. Allgemein beschreibt der Artikel aber vor allem eines: Eine mögliche Lösung und damit eine zukunftsorientierte Sicht auf die Problematik.

Im dargestellten Überblick der drei Artikel wird damit deutlich, dass die Welt(en) abhängig sind, von dem, was zur Sprache gebracht wird. Leben wir in einer vergangenheitsorientierten Ursachenbeschreibung oder im Bereich der Möglichkeiten, neue Welten zu schaffen? Eines haben sie gemeinsam: sie informieren uns alle über den Fachkräftemangel. Doch wie wir diesen aufnehmen und in Folge dessen darüber sprechen, denken und hören, hängt von der Lesart ab, die dabei nahegelegt wird.

 

 

 

 

 

 

 

Quellen:

 

https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2022-08/fachkraeftemangel-unternehmen-arbeitsmarkt-ifo-institut

https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/fachkraefte-die-lage-ist-kritisch-li.252803

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/betriebe-vier-tage-woche-101.html

https://www.ifo.de/pressemitteilung/2022-08-02/fachkraeftemangel-steigt-auf-allzeithoch

 


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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