von Lena Buß

Verhaltenssteuerung und Eigenverantwortung

„Die größten Chancen, die diese Gesellschaft zu vergeben hat – und die größte Initiative, die sie denen abverlangt, die mit den neuen Problemen fertig werden wollen –, werden von Charaktertypen verwirklicht, denen es gelingt, ihr Leben in der Gesellschaft ohne strenge und selbstverständliche Traditions-Lenkung zu führen.“ (Riesman 1950: 31)

Im letzten Beitrag wurden der Unterschied und die Relevanz von Planung und Prävention thematisiert. Wollen wir zu revolutionärem Wissen und dessen Anwendung kommen, so muss der Fokus vom präventiven- hin zum aktiven, zukunftsorientierten Handeln gerichtet werden. Dabei spielt die Eigenverantwortung eine entscheidende Rolle, aber auch das Zusammenspiel von Individuen und Gesellschaft. Der US-amerikanische Soziologe David Riesman beschreibt den Zusammenhang von Individuen, ihrer Entwicklung und der Verbindung zur eigenen und vorherigen Generation vor dem Mittelalter als Traditionsleitung:

„Der traditionsgeleitete Mensch steht der Kultur wie einer einheitlichen Macht gegenüber, auch wenn ihm diese durch jene spezifische kleine Gruppe von Menschen, mit denen er in täglichem Kontakt steht, nahegebracht wird. Diese erwartet von ihm nicht, dass er sich zu einer bestimmten Persönlichkeit entwickelt, sondern lediglich, dass er sich in der allgemein anerkannten Art und Weise verhalte.“ (Riesman 1950: 40)

Riesman hebt an dieser Stelle die Orientierung von Individuen an ihrem Umfeld hervor. Genauer gesagt bedarf es keiner stark ausgeprägten Eigenständigkeit, um gesellschaftliche Vorschriften und Erwartungen zu verfolgen. Durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung veränderte sich die Traditionsleitung nach Riesman zur Innenleitung. Er bezeichnet damit eine Verhaltenssteuerung, die wie ein „seelischer Kreiselkompass“ funktioniert und die Menschen auf Kurs hält. (Riesman 1950:40) Dabei wurde dieses Verhalten vor allem durch Pflichtbewusstsein und Gehorsamkeit geleitet und war abhängig von einer „unausgesprochenen Unterstellung eines kulturellen Konsenses über Werte, Symbole, Normen und Orientierungen als Handlungsanleitungen […].“ (Abels 2020: 149) Im 20. Jahrhundert wird die Innenleitung als Verhaltenssteuerung von der Außenleitung abgelöst:

„Der Mensch der Moderne ist „außengeleitet“ (other-directed). Er orientiert sich an dem, was alle in seinem sozialen Umfeld denken und tun, steht für jede Volte des Zeitgeistes offen und legt sich nirgendwo fest.“ (Abels 2020: 145)

Die Verhaltenssteuerungen sind sicherlich nicht gänzlich voneinander trennbar und Inhalte davon finden bestimmt immer noch Anwendung. Aber die Entwicklung von Traditions-, zur Innen- und schließlich zur Außenleitung gibt Aufschluss darüber, wie sich das Verhalten von Individuen gegenüber der Gesellschaft historische verändert hat. Vielmehr zeigt es aber auch die neuen Möglichkeiten und Herausforderungen, denen jede und jeder von uns in der heutigen Zeit gegenübergestellt ist:

„Die geschlossenen Weltbilder wurden entzaubert oder lösten sich auf, und es kam zu einer Vielfalt von Überzeugungen und Einstellungen. Für die gleichen Situationen stehen heute konkurrierende Muster des Verhaltens zur Verfügung.“ (Abels 2020: 150)

Was bedeutet diese Entwicklung für uns als Gesellschaft und welche Bezüge lassen sich damit zum revolutionären Wissen und aktiven, zukunftsorientierten Handeln stellen?

 

 

Literatur:

Abels, Heinz: Soziale Interaktion. Hagen 2020.

Riesman, David: Die einsame Masse. München (1950) 1958.


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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