von Lena Buß

Vergesellschaftung und Ordnung

„Bewertung heißt, von etwas, das man selbst nicht ist oder hat, eine geringere oder höhere Befriedigung zu erwarten. Da wir nach einer höheren Befriedigung streben, bevorzugen wir eben dieses gegenüber einem anderen. […] Je mehr Individuen diese Erwartung teilen, umso genereller wird der Wert und leitet schließlich das Handeln vieler an.“ (Abels 2020: 18)

Um als Gesellschaft „reicher“ zu werden – so wurde im letzten Beitrag thematisiert, müssen wir anerkennen, dass wir die Vielfalt unserer Potenziale in der Interaktion mit unseren Mitmenschen entfalten und generieren:

„Der Begriff der Gesellschaft hat offenbar nur dann einen Sinn, wenn er in irgendeinem Gegensatz gegen die bloße Summe der Einzelnen steht.“ (Simmel 1890: 126)

Was der Philosoph und Soziologe Georg Simmel hier beschreibt, bezieht sich auf den Begriff der Wechselwirkungen. Aus diesem Begriff heraus kann nach Simmel Gesellschaft erklärt werden. Mit der Annahme, dass: „Alles mit Allem in irgendeiner Wechselwirkung steht, dass zwischen jedem Punkte der Welt und jedem andern Kräfte und hin- und hergehende Beziehungen bestehen (Simmel 1890: 130)“ bezieht er sich auf die Ordnungen innerhalb der Gesellschaft.  Damit ist das gegenseitige Beeinflussen und Einwirken von Individuen gemeint, was sich schließlich auf das Wort Vergesellschaftung bezieht. Simmel benutzt dieses Wort, da es den Prozess der gesellschaftlichen Ordnung beinhaltet und somit hervorhebt, dass Gesellschaft nichts Starres, Unveränderbares oder Fixiertes ist, sondern ein „Geschehen“ (Simmel 1917: 14).

Dieses Geschehen zeigt sich in sozialen Strukturen, was von Simmel als objektive Gebilde gesehen wird:

„Beispiele großer objektiver Gebilde sind der Staat, die Familienformen oder die Arbeitsteilung, aber auch der Austausch über Geld. Beispiele scheinbar kleiner und flüchtiger Wechselwirkungen sind die Dankbarkeit, die Freundschaft oder der Streit. Und selbstverständlich verdichten sich alltägliche Interaktionen zu bestimmten Formen.“ (Abels 2020:13)

Wenn wir erkennen, dass wir wie im einleitendenden Zitat abhängig von unseren Bewertungen und unseren Erwartungen handeln, dann wird deutlich, welche Macht uns in der Gestaltung unserer Zukunft zukommt. Je mehr Menschen somit nach bestimmten Zielen handeln und streben, desto mehr „Gebilde“ können daraus entstehen. Wenn große objektive Gebilde (s.o.) einen Staat oder eine Gruppe kennzeichnen, dann zeigt sich damit auch der Einfluss des Einzelnen. In jeder Interaktion beeinflussen und wirken wir auf uns Selbst und auf unser Gegenüber.

Wenn wir diese Mündigkeit und Unabhängigkeit sowie das Bewusstsein, dass wir alles verändern und transformieren können in unsere Alltagssprache integrieren würden, wie sähe dann die Welt aus?

 

 

 

 

Literatur

Abels, Heinz: Soziale Interaktion. Hagen 2020.

Simmel, Georg: Über soziale Differenzierung. Soziologische und psychologische Untersuchungen. Leipzig 1890.

Simmel, Georg (1917): Das Gebiet der Soziologie. In: G. Simmel (1917): Grundfragen der Soziologie. Individuum und Gesellschaft. Berlin 4. Auf. 1984.


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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