von Lena Buß

Überlebensmodus: Warum wir keine äußere Bedrohung dafür brauchen

In den vorherigen Beiträgen zur kognitiven Verzerrung wurde herausgearbeitet, wie unser Gehirn nach bestimmten Mustern und Vorstellungen arbeitet, die dabei nicht mit unseren persönlichen Wünschen und Zielen übereinstimmen müssen. Wenn wir den Luxus von Bewusstsein wahrnehmen, werden uns neue Möglichkeiten eröffnet. Diese Möglichkeiten zeigen sich vor allem in unseren kreativen, losgelösten und spielerischen Momenten. Warum fällt es uns schwer einen solchen Modus einzunehmen?

„Während wir uns auf eine unerwünschte Vergangenheit oder eine gefürchtete Zukunft fokussieren, stehen wir fast die ganze Zeit unter Stress – wir leben im Überlebensmodus. […] fast alle Menschen sind mit dieser suchtähnlichen Geisteshaltung namens „Überleben“ sehr viel besser vertraut als mit ihrer schöpferischen Seite.“ (Dispenza 2019: 139)

Der Neurowissenschaftler Dr. Joe Dispenza bezieht sich an dieser Stelle auf die Kampf-oder-Flucht-Reaktion (fight-or-flight) und die Wirkung auf das Nervensystem:

„Ob wir nun einen Löwen in der Serengeti sehen, im Laden um die Ecke auf unseren uns nicht besonders wohlgesinnten Exmann oder unsere Exfrau treffen oder auf der Autobahn ausflippen, weil wir zu einem Termin zu spät kommen – in derartigen Fällen wird die Stressreaktion ausgelöst, denn wir reagieren auf unsere Umwelt.“ (Dispenza 2019: 141)

Dispenza betont an dieser Stelle, dass die Kampf-oder-Flucht-Reaktion allein durch Gedankengänge (also durch Sprache und Emotionen) ausgelöst werden kann. Somit sind wir selbst verantwortlich für die Stresssituation, die durch unser Nervensystem ausgelöst wird. In Bezug auf unsere Vorfahren schützte sie diese Reaktion vor der äußeren Umwelt, heute scheint es, als ob wir uns bewusst gegen unsere eigens ausgelöste Kampf-oder-Flucht-Reaktion wehren sollten (vgl. 140-143):

„Doch wenn sich Ihre Gedanken tagelang um die bevorstehende Beförderung drehen, Sie immer nur Ihre Präsentation vor der Geschäftsführung im Kopf haben oder sich Sorgen um Ihre im Krankenhaus liegende Mutter machen, produzieren Sie diese Situation dieselben chemischen Stoffe, als ob Sie von einem Löwen gejagt würden.“ (Dispenza 2019: 143)

Durch die Reaktion im Nervensystem, die ausgeschütteten Hormone bzw. Botenstoffe konzentrieren wir uns auf unseren Körper, unsere Umwelt (wohin kann ich fliehen) und auf die Zeit (wie viel Zeit bleibt um zu entkommen?). Das hat zur Folge, dass wir „uns auf die 0,00001 Prozent der Realität konzentrieren anstatt auf die 99,99999 Prozent.“ (Dispenza 2019: 144).

Dieses Phänomen kennen viele, wir sind dabei nicht nur unbewusst, sondern schweifen manchmal auch in unser ganz persönliches Worst-Case-Szenario ab. Wir sind dabei fähig es sehr kreativ zu gestalten und mehr Details hinzuzufügen, als wir es uns in einem bewussten Zustand vorstellen könnten. Was braucht es, um aus diesem Zustand, der uns ganz offensichtlich dominiert und uns in unserer Mündigkeit einschränkt herauszukommen?

 

Quelle: Dispenza, Joe: Ein neues Ich. Dorfen 2019.


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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