von Lena Buß

Sprachentwicklung

„Sprache ist nicht ein für alle Mal fertig, sondern ein kontinuierlicher Prozeß; sie ist das immer wieder erneuernde Bemühen des menschlichen Geistes, artikulierte Laute zu nutzen, um Gedanken zu äußern (Cassirer 1996, 188).

Ernst Cassirer beschreibt in diesem Zitat die Prozesshaftigkeit von Sprache. Sprache entwickelt sich, denn sie ist genauso wandelbar, wie die Entwicklung unserer Welt. Die Semantik, also der Gebrauch des Wortes innerhalb unserer Sprache verändert sich, wird durch andere Begriffe ersetzt oder durch neue Wörter, sogenannte Neologismen verdeutlicht. In diesem Sinne möchte ich nicht schon am Anfang alles spoilern, betrachten wir also den semantischen Wandel in seinem Kern.

Semantischer Wandel

Den Literaturwissenschaftlern Hans Ulrich Gumbrecht und Karlheinz Stierle zufolge gibt es zwei Varianten des semantischen Wandels: Bedeutungsinnovationen und Bezeichnungsinnovationen. Im ersten Fall bleibt das Wort dasselbe, nur entstehen neue Bedeutungen, die nicht unbedingt Alternativen zur alten Bedeutung sein müssen, sondern sie lediglich modifizieren:

Rauchwaren: War einst ein Ausdruck für Pelze als wörtliche Nebenform von ‚Rauware‘. Wie im Märchen „Allerleirau“, in dem die Prinzessin „einen Mantel von tausenderlei Pelz- und Rauchwerk zusammengesetzt“ trägt. Nach wie vor wird es in der Fachsprache der Pelzwirtschaft gebraucht. Die Allgemeinheit denkt dabei wahrscheinlich an das Angebot für Zigarren und Zigaretten1.

Bezeichnungsinnovationen treten bspw. in Form Neologismen oder durch die Übertragung eines Begriffs in einen anderen Praxisbereich auf, wobei die »ursprüngliche« Bedeutung selten erhalten bleibt. Z.B. bei dem Wort ‚blöde‘:

„Nur greift mir zu und seid nicht blöde!“ So sagt Mephisto zu Faust oder Mephisto zu sich selbst: „Du schärfe deiner Augen Licht. In diesen Gauen scheints zu blöde.“

Der Begriff ‚blöde‘ meinte ursprünglich also feige, schüchtern oder auch schwach .

Einkaufswagenpflicht: Der Begriff Einkaufswagenpflicht ist eine Zusammensetzung aus ‚Einkaufswagen‘ und ‚Pflicht‘. Ich habe das Wort noch in keinem Wörterbuch gefunden oder mit diesem Suchbegriff auf Online Seiten eine etymologische Erklärung, also die Wortherkunft gefunden. Der Begriff ist augenscheinlich ein Neologismus aus zwei zusammengesetzten Wörtern, der uns erst im vergangenen Jahr innerhalb der Corona-Maßnahmen begegnete.

Neben Bezeichnungs- oder Bedeutungsinnovation gibt es auch Wörter, die sozusagen „außer Betrieb“ sind. Sie lassen sich am ehesten als „defunktionalisiert“ beschreiben: Ohne Kassetten keinen Bandsalat, spätestens mit dem Euro keinen Pfennig mehr und mit der Direktwahl bei Telefonaten scheint das ‚Fräulein vom Amt‘ ausgestorben.

Ferner gibt es Wörter, die durch ein anderes Wort ersetzt wurden, wie bspw. das Gabelfrühstück. Wer diesem Ausdruck nichts sagt, denke an das zweite Frühstück, vorzugsweise sonntags zwischen 11 und 13 Uhr, bei dem mehrgängig gegessen werden kann. Richtig, ein Brunch. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Defunktionalisierung von Wörtern immer mit einer Veränderung in ihrem Gebrauchswert zusammenhängen, der Duden schreibt bspw. beim Gabelfrühstück: Gebrauch: „veraltet“

Egal ob Bezeichnungs-, Bedeutungsinnovation oder bei der Defunktionalisierung von Begriffen, der semantische Wandel zeigt sich im Gebrauch des Wortes und somit in seiner aktiven Verwendung. Je nach Zustand der Alltagswelt, Ort des Gebrauchs und Sachverhalt variiert bzw. entwickelt sich die Sprache.

An dieser Stelle zeigt sich wiederum der Bezug von Sprache und Wirklichkeit. Sprache macht unsere Alltagswelt sichtbar und konstruiert sie gleichermaßen, das zeigt sich vor allem, wenn öffentlich bestimmte Themen stark oder gegenteilig auch kaum diskutiert werden, denn, „wenn über eine Sache nicht einmal gesprochen wird, kann auch niemand erwarten, dass etwas getan wird (Anzlinger 2020, 6).“

Was bedeutet ein semantischer Wandel für unsere Sprachgemeinschaft und wie kommt er zustande? Das soll in den nächsten Beiträgen genauer betrachtet werden.

 

 

 

 

 

Bildquellen auf Pixabay: Teaserbild Markus Spiske, Bild 1 Jan Steiner, Bild 2 Wolf-Henry Dreblow. Literatur: Anzlinger, Jana: Klimaschutz? Ganz was Neues. In: Süddeutsche Zeitung vom 06.03.2020: 6. Gumbrecht, Hans-Ulrich (1977), Historische Textpragmatik als Grundlagenwissenschaft der Geschichtsschreibung, in: Lendemains 2:6, S. 125–135. —— (1978), Für eine phänomenologische Fundierung der sozialhistorischen Begriffsgeschichte, in: Reinhart Koselleck (Hg.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte, Stuttgart, S. 75– 101. Stierle, Karlheinz (1978), Historische Semantik und die Geschichtlichkeit der Bedeutung, in: Reinhart Koselleck (Hg.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte, Stuttgart, S. 154–189.

1https://www.welt.de/kultur/article187273070/Weltmeister-bloede-Feminismus-20-Woerter-die-frueher-etwas-ganz-anderes-bedeuteten.html

 


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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