Richtungswechsel
„Ein Schreckgespenst geht um auf dem alten Kontinent: der Faschismus. Kehrt die Bewegung, die Europa im 20. Jahrhundert ins Verderben stürzte, zurück? Ausgerechnet in Italien, wo der Faschismus unter der Führung Benito Mussolinis vor hundert Jahren gleichsam erfunden wurde, steht in den Meinungsumfragen mit den Fratelli d’Italia (FdI) eine Partei an erster Stelle, die ihre Wurzeln im Postfaschismus der Nachkriegsjahre hat.“ (NZZ)
In Italien sind am 25. September Parlamentswahlen. In den Medien wird dabei vor allem die postfaschistische Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) mit ihrer Chefin Georgia Meloni thematisiert. Das Logo ist eine Flamme in den Farben Italiens, die aus einem horizontalen Strich hervorgeht: „Ersteres in Anlehnung an das Movimento Sociale Italiano (MSI), eine Nachfolgepartei der italienischen Faschisten nach Mussolinis Sturz. Zweiteres soll laut dem «Tagesspiegel» den Sarg des Diktators Mussolini symbolisieren." (Nau.ch)
Die öffentlichen Medien in Europa sprechen dabei, wie im einleitenden Zitat dargestellt, vor allem über den Postfaschismus, rechtsextremistische Verbindungen und die 20%, die laut Umfragen für die Partei stimmen würden:
„Die «Repubblica» breitet seit Tagen genüsslich die Verbindungen der Fratelli zu neofaschistischen Kreisen wie der Casa Pound oder der Forza Nuova aus, und im Ausland blickt man besorgt nach Italien und zweifelt an der Verlässlichkeit einer möglichen Regierung Meloni, der zudem die Putin-Versteher der Lega und der Forza Italia von Berlusconi angehören könnten.“ (NZZ)
Neben den Ängsten, Verurteilungen und möglichen Folgen für Italien und die EU wird auch die Frage gestellt, wie Meloni Wähler und Wählerinnen für sich gewinnt. Die SZ erklärt und bewertet es so:
„Geschickt stilisiert sich Meloni als zukunftsorientierte Strategin, die in die Regierungsverantwortung drängt. Doch zwischen ihrem Anspruch und der Wirklichkeit klafft eine große Lücke.“(SZ)
Es mag völlig richtig sein, dass es eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt, doch das spielt für die Wählerinnen und Wähler eine untergeordnete Rolle. Sie sehnen sich nach einer „besseren“ Zukunft und die verkörpert Meloni mit ihrer Entschlossenheit, ihrer Bisshaftigkeit und der Vorstellung über ihr Italien. Der Historiker Brunello Mantelli beschreibt es in einem Interview mit der NZZ so:
"Ich glaube, dass es den FdI sicherlich Stimmen bringt, aber nicht so sehr aufgrund dessen, was der Faschismus tatsächlich getan hat, sondern wegen der symbolischen Dimension – also der Vorstellung eines Landes, das in der Lage ist, seine eigene autonome Politik zu machen, das stolz ist auf seine Unabhängigkeit und seine eigene Identität.“(NZZ)
Die Fragen, ob Meloni oder die Partei Fratelli d'Italia (Post)faschisten sind, ist sicherlich berechtigt. Dennoch bietet das keine Lösung, um zu beantworten, warum ein Teil der Italienerinnen und Italiener diese Richtung befürworten. Die Einordnung bringt insofern was, als dass wir besser bewerten können. Sie gibt uns aber keinen Aufschluss darüber, was dahinter ist, denn wir stecken nach wie vor auf der Ebene von Be- und Verurteilen fest. Eine zukunftsorientiertere Frage wäre -wie es der Historiker Mantelli andeutet, nach den Vorstellungen der Menschen zu fragen. Die Kategorisierung in politische Spektren gibt uns eine Orientierungshilfe, aber sie sagt noch lange nichts über den Grund aus, warum Menschen in diese Richtungen strömen.
Quellen:
https://www.nzz.ch/international/italien-warum-die-postfaschisten-so-viel-zuspruch-erhalten-ld.1695805
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wahlkampf-meloni-europa-wirtschaftspolitik-finanzmaerkte-italien-1.5642716
https://www.nau.ch/news/europa/giorgia-meloni-ihre-zweifelhafte-distanz-zum-faschismus-in-italien-66261685
Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.
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