von Lena Buß

Interaktion und Denkmuster

„Wo sind sie, die mutigen Individuen, die ihren Verstand neu strukturieren, ihre menschliche Software auf den neusten Stand bringen und traditionellen Verhaltensmustern den Rücken kehren, um Probleme auf neuartige Weise zu lösen?“ (Callahan 2004 : 6)

Im letzten Beitrag wurde die Macht der Individualität verdeutlicht. Sie besteht einerseits darin, dass wir selbst festlegen wer wir sein wollen, uns selbst erfinden und andererseits in der alltäglichen Praxis uns als die selbst erfundene Person darzustellen und zu interagieren.

Jürgen Habermas, Soziologe und Philosoph war über drei Jahrzehnte lang Professor an der Universität Frankfurt. Mit einer Vorlesung 1968 „Stichworte zu einer Theorie der Sozialisation“ stoß er eine kritische Diskussion über das „Gelingen“ von sozialen Situationen an (vgl. Abels 2020: 328 ):

„[...] es sind immer Vorstellungen von geglückter Interaktion. Gegenseitigkeiten und Distanz, Entfernungen und gelingende, nicht verfehlte Nähe, Verletzbarkeiten und komplementäre Behutsamkeit – all diese Bilder von Schutz, Exponiertheit und Mitleid, von Hingabe und Widerstand steigen aus einem Erfahrungshorizont des, um es mit Brecht zu sagen, freundlichen Zusammenlebens auf.“ (Habermas 1985, S. 202 f.)

Mit der Kritik und den Überlegungen kam Habermas zu der Frage, welcher persönlichen Kompetenz es bedarf, dass das Individuum in Interaktionen mit Anderen sich selbst bewusst wird (vgl. Abels 2020: 328). Dabei bezieht sich Habermas auf Rollen, die Individuen in sozialen Interaktionen einnehmen und festlegen. Es lässt sich festhalten, dass:

„Rollen nicht vollständig internalisiert werden, zweitens dass sie das auch gar nicht sein müssen, um erfolgreich miteinander handeln zu können, und drittens das auch gar nicht sein sollten, um die eigene Individualität im Spiel zu halten.“ (Abels 2020: 331)

Wenn wir somit von Individualität sprechen, bedarf es dem Bewusstsein über bestimmte Rollen, die meines Erachtens Denkmuster widerspiegeln, in denen wir uns befinden und uns vor allem erfinden. Soziale Interaktion ist somit ein „Prozess, in dem sich das Individuum in der Interaktion mit den Anderen seiner selbst bewusst wird und diesen wiederum andeutet, als wer es von ihnen angesehen werden will.“ (Abels 2020: 333)

Das bedeutet aber auch, dass wir uns stets über diese Denkmuster und Rollen Gedanken machen sollten, denn: „indem die Subjekte diese von der Gesellschaft festgelegten (und eingeforderten!) Rollen fest verinnerlichen, laufen sie Gefahr, dass sie nicht mehr aus freien Stücken, d. h. aus eigenem Interesse und nach selbstgewählten Zielen handeln.“ (Abels 2020: 330)

Individualität zeigt sich somit vor allem in der Erfindung, die wir über uns und über die Welt haben. Erkennen wir diese Macht an, so sind wir fähig zu revolutionärem Wissen:

„ (es) ist das Wissen über Wissen- das Nachdenken über das, womit wir denken. Revolutionäres Wissen ist grundlegend, weil es […] die Kraft besitzt, unsere gesamte Denkstruktur neu zu ordnen. Eine neue Denkstruktur erschafft neue Abläufe zwischen uns und der Welt, in der wir leben.“ (Callahan 2004: 8)

 

Literatur:

Abels, Heinz: Soziale Interaktion. Hagen 2020.

Callahan, Clint: Abenteuer Denken. Zweiundfünfzig Abenteuerreisen zu größeren Möglichkeiten. Bremen 2004.

Habermas, Jürgen: Die Neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt a. M. 1995.


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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