von Lena Buß

Individualität und Anerkennung

„Weil die Gesellschaftsmitglieder mithin nichts mehr befürchten als den Verlust der Anerkennung durch ihr jeweiliges Gegenüber, sind sie nach Auffassung von Parsons in hohem Maße motiviert, sich an gesellschaftlich verbindlich gemachten Normen zu orientieren; denn allein die Erfüllung der damit intern verknüpften Verpflichtungen und Erwartungen sichert ihnen auf Dauer die soziale Achtung ihrer Interaktionspartner“. (Honneth 2011: 1)

Der deutsche Sozialphilosoph Axel Honneth bezieht sich in diesem Zitat auf den amerikanischen Soziologen Talcott Parson. Das „Motivationssystem“, wie es Honneth nennt, beschreibt dabei die Erfüllung von gesellschaftlichen Normen und der erfahrenen Anerkennung.

Da gesellschaftliche Interaktionen demnach Ansprüche auf Anerkennung beinhalten, können soziale Verhältnisse auch als Anerkennungsverhältnisse betrachtet werden.

Insgesamt theoretisiert Honneth drei Anerkennungssphären. Die erste Anerkennungssphäre ist die der Primärbeziehungen, sie bezieht sich auf die ersten Entwicklungsphasen eines Kindes. Innerhalb derer das auf Vertrauen basierende Anerkennungsprinzip der Liebe herrscht. In dieser Sphäre der wechselseitigen Anerkennung soll sich die Person zwischen Abhängigkeit und Selbsterfahrung als Individuum erfahren können. Eine wichtige Fähigkeit, die durch das Erfahren der Anerkennung der Liebe gelernt werden kann, ist die Fähigkeit zur Perspektivübernahme. Aufbauend auf der ersten Anerkennungssphäre, folgt die Sphäre des Rechts. Im Zentrum stehen die individuelle Freiheit und Gleichheit aller Personen (vgl. Honneth 2018, 192). Das Individuum soll ihr eigenes Handeln als Ausdruck individueller Autonomie verstehen:

„[…] so gewinnt das erwachsene Subjekt durch die Erfahrung rechtlicher Anerkennung die Möglichkeit, sein Handeln als eine von allen anderen geachtete Äußerung der eigenen Autonomie begreifen zu können.“ (Honneth 2018, 192)

Die Dritte Sphäre siedelt sich im öffentlichen Raum an. Ihr Anerkennungsprinzip beschreibt die soziale Wertschätzung von persönlichen Eigenschaften einer Person. Diese Eigenschaften machen eine Person besonders und unverwechselbar. Es lässt sich somit festhalten, dass:

„[…] die drei Anerkennungsformen der Liebe, des Rechts und der Wertschätzung, die erst zusammengenommen die sozialen Bedingungen schaffen, unter denen menschliche Subjekte zu einer positiven Einstellung gegenüber sich selber gelangen können; denn nur dank des kumulativen Erwerbs von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstwertschätzung, wie ihn nacheinander die Erfahrung von jenen drei Formen der Anerkennung garantiert, vermag eine Person sich uneingeschränkt als ein sowohl autonomes wie auch individuiertes Wesen zu begreifen und mit ihren Zielen und Wünschen zu identifizieren.“ (Honneth 2018, 271)

Deutlich wird damit, dass wir als Individuen nicht nur abhängig und angewiesen auf diese Anerkennungsverhältnisse sind, sondern dass wir aus ihnen auch unser Selbstvertrauen, unsere Selbstachtung und unsere Selbstwertschätzung erlangen. Anerkennungsverhältnisse sind somit Grundlage für funktionierende Interaktionen. Was bedeutet das für unsere Alltagssprache, unsere alltäglichen Gespräche und Gedanken?

 

 

 

Literatur:

Honneth, Axel: Verwilderungen des sozialen Konflikts Anerkennungskämpfe zu Beginn des 21. Jahrhundert. MPIfG Working Paper 11/4. Köln 2011.

Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt am Main 2018.

 


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

Zurück

Einen Kommentar schreiben