von Lena Buß

Heute: Das morgige Gestern

„Wir erleben, wie die Zeit unaufhaltsam dahinströmt – von der unabänderlichen Vergangenheit über die flüchtige Gegenwart zur unbekannten Zukunft.“1

An die Vergangenheit erinnern wir uns, wir ziehen Erkenntnisse aus ihr und – so sagt uns die Erinnerung: Wir haben keinen Einfluss mehr auf sie. Die Zukunft hingegen erwarten wir, wir glauben auf sie einwirken zu können, denn die Gegenwart, der Augenblick des Jetzt stellt Handlungsbereitschaft, Freiheit und Selbstverwirklichung dar. Damit würden wir in der Gegenwart für eine zukünftige Vergangenheit arbeiten.

Diese Darstellung, die vor allem unsere Sprache verdeutlicht, scheint für uns selbstverständlich. Doch nicht nur Physiker wie Albert Einstein haben diese Einteilung als „Illusion“ beschrieben:

„Aus diesem Grund stellen sich die Physiker die Zeit am liebsten anders vor: als eine Zeitkarte – analog zu einer Landkarte –, auf der Vergangenheit und Zukunft vollständig und gemeinsam fixiert sind.“1

Wieso diese „Fixierung“ Sinn macht, zeigt ein einfaches Beispiel in einem Artikel der Zeitschrift Spektrum:

„Alice hoffte auf weiße Weihnachten, aber als der Tag kam, war sie enttäuscht, denn es regnete nur; doch sie war glücklich, als es am folgenden Tag schneite.“  

Unterteilen wir diese Angabe in verschiedene Tage:

Tag 1: Alice erhofft sich weiße Weihnachten.

Tag 2: Es gibt Regen. Alice ist enttäuscht.

Tag 3: Es gibt Schnee. Alice ist glücklich.

Dann wird deutlich, dass es einzig und allein unterschiedliche Zustände der Welt (Wetter) und Emotionen/Bewertungen von Alice zum jeweiligen Zeitpunkt sind. Das bedeutet aber auch, dass wir mit dem obigen Beispiel Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereinen.

Und das ist ein großer Schritt: Denken wir nicht oft genug an Vergangenes, was uns in diese Zeit zurückzieht, festhält und uns nicht voranschreiten lässt? Wenn wir die Dreiteilung nicht als etwas Getrenntes sehen, dann wird deutlich, dass die Vergangenheit uns überhaupt nicht „fixiert“. Im Gegenteil: Es ist die heutige Bewertung unserer Vergangenheit. Diese sollte uns insofern dienen, als dass sie uns im Alltäglichen hilft, das zu tun, was wir wollen und uns wünschen. Denn wer hätte es gedacht, aber alles was Morgen passiert, wird Übermorgen der Vergangenheit angehören.

 

 

 1https://www.spektrum.de/magazin/der-raetselhafte-fluss-der-zeit/829474 Spektrum der Wissenschaft 2 / 2003, Seite 1


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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