von Lena Buß

Grenze und Wahrnehmung

„Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, daß man nach der äußeren Form des Kleides nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann; weil die äußere Form des Kleides nach ganz anderen Zwecken gebildet ist als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen.“1

Die innere ‚Form‘ entspricht nach dem Philosophen Ludwig Wittgenstein also dem, was wir fühlen oder denken und die äußere ‚Form‘, dem Produkt, was wir versprachlichen bzw. vermitteln. Zwischen diesen beiden Formen kann es also durchaus eine Diskrepanz geben. Man kann das Zitat von Wittgenstein allgemein auf die ‚Unschärfe‘ unserer Wahrnehmung beziehen, denn alles was wir wahrnehmen, beschreiben oder beobachten, hat seine Grenzen. 

Der britische Physiker Paul Dirac hat sich auf die Heisenberg’sche Unschärferelation bezogen und schrieb über diese Grenze: „Es gibt eine Grenze für die Feinheit unserer Beobachtungskraft und die Kleinheit der begleitenden Störung - eine Grenze, welche in der Natur der Dinge liegt und die niemals durch verfeinerte Techniken überschritten werden kann.“2 Alles, was demnach hinter dieser Grenze liegt, kann nicht erfasst werden: „Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen. […] Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir können also auch nicht sagen, was wir nicht denken können.“3

Das Zitat von Wittgenstein bezieht sich demnach auf die Akzeptanz bzw. die Annahme der Tatsache, dass für uns persönlich nur das existiert, was wir uns vorstellen, also was wir denken können. Das, was wir uns nicht vorstellen können, was außerhalb unserer individuellen Logik liegt, ist hinter der Grenze:

„Eine Grenze und ein „Dahinter“ sind also untrennbar miteinander verbunden. Wenig verwunderlich - suchen wir Menschen ja ständig sprichwörtlich „was dahinter steckt“. Auch wenn man einen Schritt weiter geht, und sich die Grenze nun als eine hohe Mauer vorstellt, gibt es zwar kein sichtbares Jenseits mehr, aber dennoch eine Grenze. Wir nehmen die Mauer nicht nur als Mauer wahr, sondern auch als Grenze." (Wiener 2010: 29)

Der Naturwissenschaftler Gerfried Wiener beschreibt weiterführend, dass es keine Rolle spiele, wie man sich diese Grenze vorstellt, er legt nahe, die Grenze als etwas „Gedachtes“ anzusehen. (vgl. 2010: 30) Denn jeder Mensch legt sie für sich selbst fest und kann sie damit beeinflussen und verändern. Wichtig dabei ist – und so machen es auch Wissenschaften wie die Physik, zu akzeptieren, dass es etwas "Dahinter"  gibt und mit dieser 'Unwissenheit' etwas zu erschaffen (vgl. Wiener 2010: 28). Denn egal, wie man seine Grenzen definiert, sie sind veränderbar und nicht starr festgelegt. Dennoch sollten wir uns vor Augen führen: Das, was wir im Innersten anstreben, liegt meistens hinter unserer Grenze, denn es muss erstmal von uns gedacht, gesprochen und dann in die Welt gebracht werden. 

 

 

 

 

 

Quellen: Wiener, Gerfried: Wittgensteins sprachphilosophischer Grenzbegriff im Kontext Heisenbergs moderner Physik als Stütze einer zeitgemäßen Physikdidaktik. Wien 2010.

1Wittgenstein, Ludwig: Ein Reader, Tractatus logico-philosophicus, Reclam 1994, S. 20.

2Pietschmann, Herbert: Phänomenologie der Naturwissenschaft, Wissenschaftstheoretische und philosophische Probleme der Physik, Ibera 2007, 2. erweiterte Auflage, S. 117f.

3Wittgenstein, Ludwig: Ein Reader, Tractatus logico-philosophicus, Reclam 1994, S. 36[.nbsp]

Zur Unschärferelation siehe: https://www.youtube.com/watch?v=pBekV7dXdfY

 


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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