von Lena Buß

Die Prozesshaftigkeit unserer Sprache

Der Weg ist das Ziel?

Wenn wir miteinander sprechen, dann können die verschiedensten Dinge passieren. Wir erfahren bspw. Zustimmung, Ablehnung, Bestätigung oder Missbilligung. Am Ende des Gesprächs sind wir zufrieden, vielleicht aber auch aufgebracht und sogar wütend. Das alles sind mögliche Zustände während und nach einem Gespräch, sozusagen Produkte aus unserer Interaktion. Fokussieren wir uns aber auf die Prozesse während eines Gesprächs sieht es vielleicht ganz anders aus:

Wir erfahren Zustimmung für das Gesagte und im nächsten Moment Ablehnung. Wenn wir das als Produkt sehen reagieren wir auf diese Ablehnung bspw. mit Gegenargumenten, sehen wir es aber als Prozess, dann würden wir uns vielleicht Fragen, wieso unser Gegenüber dieses Argument vertritt und für uns das Beste aus diesem Gespräch rausholen. Mit „das Beste“ meine ich neue Erkenntnisse, andere Perspektiven, die Erweiterung des eigenen Wissens und dem Nachhallen, also das, was uns nach dem Gespräch im Gedächtnis bleibt.

Wir brauchen ein Sinn für das Prozesshafte, denn alles ist Prozesshaft von der Blume bis zum Kartenhaus. Allerdings, so schreibt Helmut Ebert:

„Unsere Sprache verführt uns dazu, überall Dinge am Werk zu sehen, wo in Wirklichkeit Prozesse ablaufen: „Der Wind hat sich gelegt“ – Wo ist der Wind, der sich gelegt hat? Sprachlich ist der Wind scheinbar noch existent, doch tatsächlich ist ein Wind, der sich gelegt hat, kein Wind.“ (Ebert 2020, 3-4)

Nun kann man berechtigter Weise die Frage stellen, was denn das Problem ist, wenn man die Prozesshaftigkeit nicht beachtet. Wenn sich der Wind gelegt hat, dann hat sich etwas verändert und genau um diese Veränderung geht es, sie ist nämlich der Prozess an sich, genauso wie Entwicklung, die nicht von hier auf gleich vollzogen werden kann. Liebe, Frieden, Freundschaft und Vertrauen, alles entsteht im Prozess und ist eben nicht dinghaft. Fokussieren wir uns auf das Produkt verpassen wir den Prozess, also die eigentliche Transformation oder die Veränderung.

„Überall sehen wir Dinge am Werk, sind aber blind für die Wahrnehmung von Prozessen. Die Gegenwart denken wir uns wie die Vergangenheit oder die Zukunft als ein Ding oder als einen Zustand. Erst, wenn wir begreifen, dass alle Lebenszusammenhänge Prozesse sind, werden wir gewahr, dass sich vor unseren Augen in der Gegenwart Altes und Neues bekämpfen. Das Alte will noch nicht gehen, und das Neue ist noch zu schwach, um ganz zu kommen“ (Ebert 2020,5)

Die Prozesshaftigkeit spiegelt sich nach Ebert also in unseren Lebenszusammenhängen wider, das ist nachvollziehbar. Betrachten wir das Bild, so sehen wir links einen kleinen Avocadokern im Wasserglas und daneben eine Avocadopflanze, die aus solch einem Kern herangewachsen ist. Der Kern hat das von selbst getan, ist irgendwann aufgegangen, gesprießt und hat immer mehr Wurzeln entwickelt, der Stamm wurde stärker, um schließlich die Blätter tragen zu können. All das steht dem kleinen Avocadokern noch bevor. Und genau das ist der Prozess des Lebens.

Der Satz „der Weg ist das Ziel“ will – so denke ich, auf nichts anderes hinweisen. Auf dem Weg ein Ziel zu erreichen, egal wie klein oder groß, ist der Ursprung erst einmal mein Gedanke. Dieser wird dann von mir weitergedacht, weiterentwickelt, er keimt sozusagen vor sich hin, um irgendwann an die Oberfläche zu kommen. Ein einzelner Gedanke ist ein Produkt, Denken ist jedoch ein Prozess und unsere eigenständige Handlung. Wenn wir darauf vertrauen, dass wir wie eine Pflanze prozesshafte Entwicklungen durchmachen werden, dann wird kein Ziel, keine Vision und kein Vorhaben jemals zu groß sein.

 

 

 

Literatur: Ebert, Helmut: Sprache und Dialog als Führungsinstrumente. Wie Gespräche die Organisationsentwicklung der Zukunft sichern. Bonn 2020.

BIldquellen: Teaserbild: L. Buß, Kartenbild: ptra auf pixabay


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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