von Lena Buß

Die Geisteswissenschaften als Sprachgemeinschaft

Geisteswissenschaften verfolgen den Ansatz, lebensweltliche Dinge zu beobachten, Wirklichkeiten und gesellschaftliche Zusammenhänge zu untersuchen und sich wissenschaftlich an (gesellschaftliche) Phänomene anzunähern. Ihr Forschungsgegenstand ist der Mensch und seine Lebenswelt mit all den Bezügen zu Gesellschaft, Kultur, Religion und dem, was das Mensch-Sein sozusagen ausmacht.

Im letzten Beitrag haben wir uns auf die Kategorien einer Sprachgemeinschaft bezogen, im Speziellen auf die Relevanz innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Die weiteren Kategorien Sinnordnung/Verständnis und Wissen möchte ich im Folgenden betrachten.

Geisteswissenschaften sind in Deutschland bei weitem nicht so prominent, wie in Sprachgemeinschaften des angelsächsischen, also vorwiegend englischsprechenden Raum. Vielleicht liegt es allgemein an dem (mangelnden) Bewusstsein der deutschsprachigen Gesellschaften solcher Disziplinen, sodass diese Wissenschaften bewusst eine Sprache benutzen, die ihre Professionalität und Relevanz unterstreicht (vgl. Graf Kielmansegg 2010: 100 f.). Vielleicht liegt es aber auch am eigentlichen Forschungsfeld. Denn das Erforschen von bestehenden lebensweltlichen Bezügen und Wirklichkeiten bedarf der Abstraktion, also der Vereinfachung, um diese Bezüge überhaupt greifbar zu machen und so mit ihnen arbeiten zu können. Diese Abstraktion zeigt sich vor allem in Sprache.

Um einen wissenschaftlichen Zugang zum Menschen als denkendem und fühlendem Wesen zu bekommen und gleichzeitig zu untersuchen, nach welchen Orientierungen und Wertmustern „Gesellschaft“ entsteht bedarf es einer Reflexion der forschenden Person, denn sie befindet sich ja selbst im System „Gesellschaft“. Und es braucht gleichzeitig der oben genannten Vereinfachung, um das Unsichtbare ins Sichtbare zu rücken. Dafür nutzen die Geisteswissenschaften zum Teil Wörter, die auf den ersten Blick ganz und gar nicht vereinfacht klingen.

Mit diesen Wörtern werden Zustände, Forschungsansätze  oder Gegebenheiten beschrieben, für die man sonst eine viel längere Erklärung bräuchte und diese je nach Kontext auch gar nicht mit der Alltagssprache beschreiben könnte. Die Problematik sehe ich darin, dass diese Begriffe für Personenkreise außerhalb der Wissenschaft (manchmal auch für Personenkreise innerhalb der Wissenschaft aber aus einer anderen Disziplin) unverständlich sind und sie ein spezifisches Wissen voraussetzen. An dieser Stelle hebt sich die Sprachgemeinschaft der Wissenschaft von der allgemeinen Sprachgemeinschaft ab, denn Wissen, Verständnis/Sinnordnung sind nicht mehr gegeben. Sicher gibt es Disziplinen innerhalb der Geisteswissenschaften, die sich weniger kompliziert als andere ausdrücken, dennoch bleibt der Untersuchungsgegenstand ähnlich und allein dieser erschwert natürlich den Zugang für Personen außerhalb dieser Sprachgemeinschaft.

Für Disziplinen der Geisteswissenschaft ist ihre eigene Sprache wichtig und notwendig, vielleicht gibt es aber auch die Möglichkeit, Wissen von der einen Sprachgemeinschaft in eine Andere zu übertragen? Wie müssten die geisteswissenschaftlichen Disziplinen also sprechen um Selbst vom unsichtbaren in den sichtbaren Bereich zu kommen?

 

 

Literatur: Graf Kielmansegg, Peter: Die Sprachlosigkeit der Sozialwissenschaften.  In: Kirchhof, Paul: Wissenschaft und Gesellschaft. Begegnung von Wissenschaft und Gesellschaft in Sprache. Heidelberg 2010 :93-103.

Bild: L. Buß


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Kommentar von Rita Klee |

Hallo Lena, der Blogeintrag gefällt mir. Auf dem Weg, die Wissenschaftliche Sprache zu unterscheiden.

In dem Moment, in dem ein Wort, das im wissenschaftlichen Bereich geschaffen wurde in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. In dem Moment ist das Wort in der Wirklichkeit des Alltags angekommen. Z. B reset in der Computersprache.
Transformation, früher nur im Trafo-Häuschen der E-Werke, heute in jedem Haushalt der Nachmodernen.