von Lena Buß

Alltag und Sprache

Ist der Himmel wirklich blau?

In den vorherigen Beiträgen ging es vorwiegend um den Austausch mit anderen Menschen und den damit verbundenen Regeln, Relevanzen und Strukturen, die mit dem ‚allgemeinen Wissen‘ einhergehen.

Vielmehr kann an dieser Stelle auch von einer ‚allgemeinen Sprachgemeinschaft‘ gesprochen werden, denn in der spezifischen Sprachgemeinschaft z.B. von Geologen würde man anstatt der „der Himmel ist blau“ vielleicht eher sagen „der Himmel sieht blau aus“1. Ich will damit verdeutlichen, dass die allgemeine Sprachgemeinschaft und das allgemeine Wissen sich auf unsere Alltagswelt beziehen: 

„Die Sprache hat ihren Ursprung in der Alltagswelt und bezieht sich primär auf diese (Berger/Luckmann 2007, 40).“

Alltagssprache

Benutzt man die Begriffe Alltag und Sprache in Kombination, müssen die Begriffe erst einmal einzeln betrachtet werden. Sprache, gesehen als vokales Zeichensystem unserer Gesellschaft ermöglicht uns innerhalb der Gemeinschaft die Verständigung durch den gegenseitigen Austausch. Alltag bzw. die alltägliche Lebenswelt, wie sie der Soziologe Alfred Schütz bezeichnet, wird wie folgt beschrieben:

„jener Wirklichkeitsbereich, den der (…) Erwachsene (…) als schlicht gegeben vorfindet. Mit ‚schlicht gegeben‘ bezeichnen wir alles, was wir fraglos erleben, jeden Sachverhalt, der uns bis auf weiteres unproblematisch ist (Schütz/Luckmann 2003, 52).“2

Sicher kann man an dieser Stelle berechtigter Weise einwenden, dass Menschen nicht die gleiche Lebenswelt haben, sonst gäbe es keine Diskussionen über bspw. das Tragen eines Fahrradhelms oder das Tempolimit. Was aber durch das Zitat hervorgehoben werden soll ist, dass wir unsere alltägliche Lebenswelt in den allermeisten Fällen unhinterfragt erleben. Ich frage mich nicht, wieso man wartet bis die Leute aus der S-Bahn ausgestiegen sind, bevor ich einsteige (auch wenn das manchen Leuten leider keine Selbstverständlichkeit erscheint) oder dass man sich beim Bäcker in einer Reihe anstellt.

Die Wirklichkeit der Alltagswelt

Die wichtigsten Elemente in der Alltagswelt sind nach den Soziologen Berger und Luckmann Interaktion, Wissen und Sprache.

 

  • Interaktion: bspw. die gegenseitige Bezugnahme in meinem Lieblings-Café und dem Kellner, der weiß, was ich bestelle „So, wie immer?“
  • Wissen: das ‚allgemeine‘ und das spezifische Wissen des Menschen (z.B. durch den Beruf)
  • Sprache: gesehen als vokales Zeichensystem der menschlichen Gesellschaft

 

 

Interaktion, Wissen und Sprache, bilden Wirklichkeit ab, in dem sie die Alltagswelt transzendieren, also sichtbar machen. Der Begriff Alltagssprache soll diese Elemente in sich vereinen.

Die Alltagwelt ist sicher nicht bei jedem dieselbe. Ganz im Gegenteil, schon allein durch Beruf, Alter, Gender oder persönliche Interessen bilden sich unterschiedliche Perspektiven und spezifisches Wissen unter dem die Gesamtgesellschaft existiert und ihre volle Vielfalt entfaltet. Hervorgehoben werden soll dennoch die Konstruktion unserer Alltagswelt durch ihr Symbolsystem Sprache:

"Der Symbolismus Sprache ist ein wesentliches Element der gesellschaftlichen und kulturellen Konstruktion bzw. Formung. […] Ob Mythos, Religion, Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Technik, in jeder symbolischen Form lässt sich ein Bezug zur Wirklichkeit der Alltagswelt herstellen. Dieser Bezug ist in erster Linie durch die Sprache gegeben.“ (Schramm 2014, 205)

Die Sprache in unserer alltäglichen Lebenswelt, kann also als etwas Übliches, Unbewusstes, Vertrautes und Gewohntes gesehen werden und somit durchaus als Alltagssprache bezeichnet werden. Gleichwohl kann sich unsere Alltagssprache ständig verändern, so integrierten sich bspw. für die Allgemeinheit nie bzw. selten gebrauchte Wörter wie „Mund-Nasen-Schutz“, oder „Ausgangssperre“ in unsere Alltagswelt und somit in unsere Sprache.

Im nächsten Beitrag möchte ich diese Veränderungen genauer betrachten. Was ist unter einem alltagssprachlichen Wandel zu verstehen und welche Bedeutung hat das für eine Sprachgemeinschaft?

 

 

 

 

 

1„Die Stärke der Streuung des Lichts hängt von seiner Wellenlänge ab. Blaues Licht ist kurzwelliger als beispielsweise rotes Licht. Daher wird das blaue Licht stärker gestreut als das rote - der Himmel sieht blau aus.“ https://www.wissen.de/warum-ist-der-himmel-blau 2Schütz verwendet an dieser Stelle vielmehr die Adjektive ‚normal und gesund‘. Ich habe diese Wörter bewusst weggelassen, da weder von Schütz selbst, noch von mir festgelegt werden kann, was als ‚gesund und normal‘ gilt.

Bilder von Lena Buß. Literatur: Berger, Peter L; Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a.M. 2007 (Original 1966). Schramm, Michael W; Symbolische Formung und die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit. Konstanz/ München 2014


Über Lena Buß

Kulturwissenschaftlerin, aufgewachsen in Offenburg. Mit European Talk folgt sie ihrem Bedürfnis nach einer bewussten und zukunftsorientierten Sprache. Bachelorstudium in Kulturanthropologie und VWL an der Universität Freiburg, aktuell im Masterstudium.

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